MIRA IORDANOVA

„Mehlwürmer sind meine Vision“

Mira Iordanova mit ihrer Auszeichnung als Westfälische Erfinderin

Eine Frau mit kurzen, braunen Haaren und einem breiten Lächeln im Gesicht kommt uns vollbeladen mit Tüten und Kisten auf dem Union Gewerbehof in Dortmund entgegen. Hier finden wir neben Kanzleien, einem Bio-Café, einem Callcenter und Start-Ups auch Mira Iordanova und ihre Mitgründer:innen Elis Tenner und Constantin Jedwabski für ihre Mehlwurmzucht, die Broodwormfarm e. V., ein Zuhause gefunden.

„Unsere Arbeit ist eine Lösung für die Lebensmittelknappheit, für unsere Zukunft, unsere Kinder, unsere Luft, gegen die Zerstörung des Regenwaldes….
Ich könnte noch so weiter machen, die Liste der Vorteile ist lang!“

“Kann mir jemand helfen? Ich muss den Müll noch wegbringen”, lacht Mira Iordanova. Sofort herrscht eine lockere und herzliche Stimmung. Auf dem Weg fängt die Ideengeberin der Broodwormfarm an, zu erzählen: Zurzeit sei ziemlich viel los in ihrem Leben. Gestresst wirkt sie nicht, nur vielbeschäftigt. Seit 2010 arbeitet sie zusammen mit anderen Freiberuflerinnen als Dolmetscherin im Bereich Strafrecht – unter anderem an dem medial bekannten OneCoin-Fall, der als „Krypto-Queen“ bekannten Ruja Ignatova. 2021 kam zu ihrer Arbeit als freiberufliche Dolmetscherin ihr Herzensprojekt: die Broodwormfarm.

„Eigentlich bin ich eine schwierige Person“, erklärt die Gründerin, die mit ihrer lockeren Art alles andere als kompliziert wirkt, grinsend. Schon in ihrer Kindheit eckte sie hier und da an, denn sie habe schon immer gewusst was sie will und ihre Pläne ohne Kompromisse durchgezogen. Ihre Mutter habe stets versucht, ihr Sanftmütigkeit und Diplomatie mit auf den Weg zu geben, damit sie ein einfaches und konfliktfreies Leben führen könne. Schmunzelnd gibt sie uns die Entgegnung ihres Vaters wieder: „Mira ist so wie sie ist.“

Und auch heute weiß sie noch, was sie will. – Ihr großes Projekt: Mehlwürmer. 2021 las Mira erstmals, dass Mehlwürmer Styropor essen können und daraufhin biologisch abbaubare Ausscheidungen hinterlassen. Sofort war sie begeistert und wollte mehr erfahren. „Ich habe mich sofort mit Büchern eingedeckt.“ Diese Begeisterung lässt die Gründerin bis heute nicht los. “Schauen wir uns die Tierchen mal an”, erzählt sie eifrig. “Mehlwürmer bestehen fast zu 60 Prozent aus Proteinen.“ Außerdem seien sie sehr unkompliziert, auf kleinstem Raum gehalten, können sie verschiedene Temperaturen gut aushalten. Außerdem brauchen sie kein Wasser. Das Futter für die Mehlwürmer sei auch sehr günstig und unkompliziert zu beschaffen. „Wir beziehen unser Futter zum Beispiel von einem Biobauern. Hier bekommen wir zum Beispiel Äpfel mit Makeln. Die Äpfel wären sonst auf dem Kompost gelandet.“

In den kleinen Würmern sieht Mira Antworten, auf einige große Probleme und Fragestellungen unserer heutigen Zeit. „In den nächsten Jahren wird die Bevölkerung auf neun bis zehn Milliarden Menschen steigen.“ Mit diesem Wachstum steige auch die Nahrungsknappheit stetig an, erklärt sie. Außerdem sei die Nahrungsmittelproduktion, insbesondere die herkömmliche Masttierhaltung, ein großes Problem im Kampf gegen den Klimawandel. Unkompliziert und nachhaltig in der Haltung, könnten die Mehlwürmer unseren Nahrungsbestand erweitern und eine wichtige Proteinquelle sein. „Unsere Arbeit ist eine Lösung für die Lebensmittelknappheit, für unsere Zukunft, unsere Kinder, unsere Luft, gegen die Zerstörung des Regenwaldes…. Ich könnte noch so weiter machen, die Liste der Vorteile ist lang!“

„Wir mussten ad hoc pitchen, ohne wirklich bereit dafür zu sein“

Schon seit dem ersten Kontakt zu dem Thema, 2021, ist Mira klar: Daraus möchte sie mehr machen, dieses Potenzial möchte sie nutzen. So machte sie sich an die Arbeit und entwickelte ein Konzept. Als Verstärkung holte sie sich die späteren Mitgründer:innen Elis Tenner und Constantin Jedwabski mit ins Team. Zeitgleich zogen auch die ersten Mehlwürmer bei Mira ein. Erst in die Küche, dann in den Garten, dann wieder in die Küche, denn im Garten lauerten Mäuse. Schließlich zogen die Tierchen in den Keller und hausierten zwischenzeitlich sogar im Garten ihres Hausarztes, erinnert sich die Dolmetscherin.

Mit ihrem Konzept und einem Erklärvideo wendete sie sich schließlich an die Wirtschaftsförderung Dortmund. Dort wurde ihr geraten, sich bei für das Stipendienprogramm greenhouse.ruhr 2021 zu bewerben. „Ich habe meiner Kollegin Elis ständig in den Ohren gelegen.“, lacht sie. Auf die erste Bewerbung folgte der erste Rückschlag: eine Absage. Interessiert an den anderen Start-Ups schaute sich das Team den Wettbewerb dennoch an. – Eine Entscheidung, die alles ändern sollte. Denn eine der angenommenen Gruppen des Wettbewerbs sprang kurzfristig ab, sodass ein Platz frei wurde. „Wir mussten ad hoc pitchen, ohne wirklich bereit dafür zu sein“, erzählt Mira. „Ich kann heute nicht mehr mit Sicherheit sagen, was ich da überhaupt erzählt habe!“ Doch was sie erzählt hat, muss einen Eindruck hinterlassen haben. Mit Broodwormfarm belegten sie den ersten Platz und erhielte eine Wirtschaftsförderung über 5000 Euro.

Seitdem wächst die Broodwormfarm e. V. stetig. Zu ihren Aufgaben zählen heute beispielweise die Durchführung von Vorträgen für Schulklassen, die nachhaltige Entwicklung Optimierung der Mehlwurmzucht durch natürlich Rohstoffe sowie die Bekanntmachung der Vorteile von Mehlwürmern als Lebensmittel für den Menschen sowie als Tierfuttermittel. Mit ihrem Projekt möchte die Gründerin allerdings nicht nur ein nachhaltiges Unternehmen aufbauen, sondern auch einen sozialen Raum schaffen. Daher stellt das Team Langzeitarbeitslose ein. Dass es hierbei auch schon mal zu Schwierigkeiten kam, entmutigt die Initiatorin nicht, ihre Strategie weiter zu verfolgen.

Für ihre Zukunft schmiedet Mira schon weitere Pläne: Künftig möchte sie weiterhin als Dolmetscherin arbeiten. Die Mehlwurmzucht soll expandieren. Ziel sei es, stetig zu wachsen und eine GmbH zu gründen. „Unser Wunsch ist es, die größte Mehlwurmzucht Europas zu werden.“ Zweifel scheint sie keine zu haben. Mit einem selbstbewussten Grinsen im Gesicht erklärt Mira: „Das Dolmetschen ist meine Passion. Die Mehlwürmer sind meine Vision.“