„Man darf andersartig sein nicht mit anderswertig sein gleichsetzen.“
PROF. DR. RER. NAT.
BEATE KEHREL
Zwischen Teetassen und Wissenschaft — Professorin Beate Kehrel hautnah
Beate ist eigentlich Frau Professorin Dr. rer. nat. Beate Kehrel, doch sie besteht drauf, geduzt zu werden. Sie erzählt, dass sie offiziell seit zwei Jahren im Ruhestand ist. Doch das ist für Beate noch lange kein Grund, nicht mehr ihrer Forschung nachzugehen. Als Associate Professorin an der Westfälischen Wilhelms- Universität Münster forscht sie rund um die Themen Blutstillung, Thrombose, Entzündung und Infektion. Für ihre Arbeit wurde die Münsterländerin mit einer Vielzahl nationaler und internationaler Preise ausgezeichnet, wie zum Beispiel dem Alexander-Schmidt-Preis der deutschen, österreichischen und schweizerischen Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung (GTH) für herausragende Arbeiten auf den Gebieten der Hämostase (Blutstillung) und der vaskulären Medizin und mit dem ASPIRE-Forschungspreis für Hämophilie (auch als „Bluterkrankheit“ bekannt). Während sie über die Wissenschaft redet, leuchten ihre Augen auf. Schnell wird klar, dass die Wissenschaft für sie mehr als nur Wissenschaft ist:
„Es ist Leidenschaft. Wissenschaft ist neben dem Kochen und meinen Hunden auch mein Hobby, aber auch meine Familie ist mir sehr wichtig.“
In Rheine öffnet Beate Kehrel, eine kleine Frau Ende 60, ihre Haustür und winkt uns hinein. Hinter ihr schallt lautes Bellen nach draußen. „Ich hoffe, ihr habt keine Angst vor Hunden.“, begrüßt sie uns mit einem breiten Lächeln. Ihre zwei Hunde Trüffel und Flocke lassen nicht lange auf sich warten, mit wedelnden Schwänzen verfolgen sie alle bis ins Wohnzimmer und erkunden die neuen Gäst:innen. Der Wohnzimmertisch ist mit einem großen Teller belegte Brötchen und verzierten Porzellantassen gedeckt, der einladende Geruch von frischem Kaffee liegt in der Luft. Mit traurigen Augen und einem leisen Winseln betteln Beates Hunde um ein Häppchen. „Ja, ihr kriegt sonst nichts zu essen, nicht wahr?“, flüstert sie und versucht, sich das Lachen zu verkneifen.
Ihr Hobby „Wissenschaft“ hat Beate dabei nicht nur in ihrer Arbeit an der Uni in Münster ausgelebt. 2004 gründete sie gemeinsam mit Dr. rer. nat. Martin Brodde das Unternehmen OxProtect. Hier entwickeln sie neuartige Testverfahren und Wirkstoffe im Spannungsfeld zwischen Hämostase (Blutstillung) und Entzündung. Da nur anhand schneller und genau diagnostischer Informationen die optimale Behandlung von Krankheiten erfolgen kann, hat OxProtect sich auf die Entwicklung von Diagnostika bis zur Marktreife spezialisiert. Damit tragen Beate und ihr Mitgründer dazu bei, dass zum Beispiel das individuelle Risiko von Patient:innen nach einem Herzinfarkt, oder einem Schlaganfall besser beurteilt und Therapien und Krankheitsverläufe besser überwacht werden können.
„Man muss nicht abhärten, wir können auch Frau bleiben.“
Der Weg zum Erfolg war für die Professorin und Gründerin nicht immer leicht, sie beschreibt die gläserne Decke als grundlegendes Problem. „Richtig nach oben kommt man nur durch Netzwerke und die Netzwerke fehlen uns Frauen.“ Beate macht eine lange Pause und fährt seufzend fort: „Dummerweise kommt dazu, dass viele Frauen, denen es schwer gemacht wurde, meinen, sie müssten es anderen Frauen auch schwer machen. Sie denken, sie müssten andere Frauen abhärten. Aber man muss uns nicht abhärten, wir können auch Frau bleiben. Wir haben unsere Stärken, genauso wie Männer ihre Stärken haben. Man darf andersartig sein nicht mit anderswertig sein gleichsetzen. Wir sind andersartig, aber wir sind gleichwertig!“
Im Hintergrund räkelt sich Flocke, springt vom Sessel und tappt hinaus. „Jetzt ist Zeit für Tee und Kaffee.“, bemerkt Beate und verschwindet in der Küche. Die plötzliche Ruhe lenkt den Blick durch den Raum. Die hohen Wände des Wohnzimmers sind mit Gemälden geschmückt, vor der Türschwelle erstreckt sich ein antiker Schrank, der mit unzählbar vielen Büchern gefüllt ist. Später vertraut Beate uns an, dass sie knapp 2000 Kochbücher und noch viel mehr wissenschaftliche Bücher besitzt. Mit einem Grinsen im Gesicht kommt Beate nach einigen Minuten zurück, in der einen Hand die Teekanne, in der anderen die Kaffeekanne.
„Wir haben dir etwas mitgebracht.“ Ihre Lippen formen sich zu einem dankbaren Lächeln, als wir ihr die WE!-Auszeichnung als „Innovatorin und Vorbild“ überreichen. Während sie sich eine kurze graue Strähne aus dem Gesicht streicht, betrachtet sie die Auszeichnung. Trotz all ihrer Erfolge, Preise und Titel wirkt sie überrascht: „Damit habe ich jetzt wirklich nicht gerechnet. Danke!“
Professorin Dr. rer. nat. Beate Kehrel ist und bleibt die herzliche und nahbare Beate, die tut was sie tut, weil sie für die Sache brennt: „Ohne Leidenschaft geht nichts! Ich bin ein durch und durch leidenschaftlicher Mensch. Ich mache nichts, was ich nicht mit Begeisterung mache — dann lass´ ich es lieber ganz.“