JULIA HASKE

Glückauf und Ni hao!

Die Expertin für Nachbergbau in China, Julia Haske, im Porträt

Porträt von Julia Tiganj

(c) THGA

Ihr Weg dahin begann mit ihrem Studium der Wirtschaft und Politik Ostasiens an der Ruhr-Universität in Bochum. Heute promoviert die Recklinghäuserin in den Bereichen Nachbergbau, Politik Ostasiens und Geoengineering. Mit zahlreichen Publikationen zeigt sie auf, wie diese Themen zusammenhängen und wie man Erkenntnisse zu diesen Themen zwischen der EU und China transferieren kann. Ihre Ideen sind dabei ebenso innovativ wie unkonventionell. Kern ihrer Arbeit ist es, Bestehendes neu zu denken und ganzheitlich zu betrachten. Wenn es darum geht, ein stillgelegtes Bergwerk neu zu nutzen, betrachtet Julia die Umsetzung aus politischer, ökonomischer, ökologischer und aber auch sozialer Sicht. Denn der Nachbergbau sei geprägt von einer Ambivalenz aus vielfältigen Chancen und Risiken, sowohl hier im Ruhrgebiet als auch in China, erklärt sie. Eines der wichtigsten Ziele ihrer Forschungsarbeit sei für sie daher, die Chancen wie die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu nutzen und dabei die Risiken wie etwa globale ökologische Konsequenzen des Bergbaus mitzudenken und umzukehren. „Es darf in der wissenschaftlichen Betrachtung keine Rolle spielen, ob uns der Umgang mit China komplex erscheint; wir müssen uns auch damit auseinandersetzen und wir müssen kommunizieren.“, erklärt die Forscherin. Ihre Vision ist es, dass China durch Best-Practices aus dem Ruhrgebiet und den Austausch motiviert wird, sich als größtes Bergbauland der Welt dem Thema noch intensiver zu widmen. „Und wenn sie erst einmal anfangen, dann werden sie uns vermutlich auch in kurzer Zeit mit innovativen Ideen auf dem Gebiet überholen.“ — eine Vorstellung, bei der Julia sichtlich zufrieden ist. Denn nur global gedacht, können wir uns Herausforderungen des Klimawandels stellen, erklärt sie. Der Pool an Expert:innen in ihrer Branche ist bisher sehr begrenzt, vor allem weibliche Vertreterinnen gibt es ist hier kaum – wodurch Julia als junge Frau und einzige deutsche Expertin für das Thema Nachbergbau in China umso schneller aus der Masse sticht. Dabei fühle sie sich ernst genommen und bekomme viel positives Feedback, auch von ihren chinesischen Kolleg:innen.

Wie können die stillgelegten Bergwerke des Ruhrgebietes sinnvoll genutzt werden? Warum beeinflusst die chinesische Industrie auch das Leben in Deutschland? Wie können wir nachhaltiges Umdenken im Ruhrgebiet auf Chinas Industrie übertragen?

Mit diesen und vielen weiteren Fragen beschäftigt sich Julia Haske in ihrer Arbeit als wissenschaftliche Leiterin des Forschungsbereichs der Reaktivierung und Transition am Forschungszentrum Nachbergbau (FZN) der Technischen Hochschule Georg Agricola in Bochum. Damit ist sie nicht nur die einzige Frau in leitender Position am Forschungszentrum Nachbergbau, sondern auch die jüngste und einzige noch-nicht-promovierte Frau in dieser Position dort. Ganz nebenbei ist sie auch die einzige deutsche weibliche Expertin für das Thema Nachbergbau in China.

Neben den globalen Zielen verfolgt Julia auch ein regionales Ziel: Das Ruhrgebiet mit seiner identitätsstiftenden Industriekultur aufrecht halten. Junge Leute könnten sich immer weniger mit dem Bergbau identifizieren. Sie selbst hat den Bereich (Nach-)Bergbau im Rahmen eines Pflichtpraktikums auch eher zufällig für sich entdecket. „Ich habe mich eigentlich nie für Bergbau interessiert und von Nachbergbau hatte ich gar nicht gehört.“ Heute hat sie verstanden: „Diese ausgeprägte Industriekultur im Ruhrgebiet ist eine ganz besondere Ausnahme — und das weltweit.“ Die Geschichte und Orte, wie das UNESCO Weltkulturerbe Zeche Zollverein, seien dabei von besonderer Bedeutung für die Kultur des Ruhrgebiets. Um diese zu bewahren, brauche es eine gute Balance zwischen dem Blick in die Vergangenheit und dem Blick nach vorne. Nur so könne man alle abholen, erklärt die Nachbergbau-Expertin. Den Blick in die Vergangenheit wirft Julia dabei gerne ab und an gemeinsam mit ihrem Großvater, der selbst im Bergbau aktiv war, um zur Region und zu den Menschen passende Pläne für die Zukunft zu entwickeln.

Neben ihrer Forschungsarbeit engagiert sich die gebürtige Hernerin ehrenamtlich, um ihr Bewusstsein für Klimaschutz, Industriekultur und ihr Interesse am MINT-Bereich (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) an Kinder und Jugendliche weiterzugeben. So ist sie schon als Drohnenpilotin über Industriekulturen geflogen, um den Nachwuchs am GirlsDay der Hochschule zu motivieren oder mit den Schüler:innen der Martin-Luther-Hauptschule Hamm zu erarbeiten, wieso derartige Strukturen erhalten und „recycelt“ werden sollten. Im Rahmen dieses Projektes begleitete Julia aber auch die Gründung eines Schüler:innen-Labors, welches den Schüler:innen einen besseren Zugang zum MINT-Bereich ermöglichen soll. Während sie von den Schulprojekten erzählt, fällt ihr plötzlich etwas ein. Nachdem sie kurz auf ihrem Schreibtisch kramt, hält sie strahlend das Pixi-Buch „Die Nachbergbau-Detektive“, welches das Team am FZN entwickelt hat, hoch. Begeisterung und Stolz stehen ihr dabei ins Gesicht geschrieben.

Julia Tiganj ist im Gespräch und gestikuliert.

(c) THGA

Mit ihrem Engagement möchte sie gerne auch gezielt Mädchen erreichen und für MINT-Themen begeistern, erklärt sie. Denn auch sie selbst habe sich in ihrer Schulzeit von Vorurteilen beeinflussen lassen und sich von MINT-Fächern distanziert, die seien schließlich was für „Jungs“. Erst im Studium erkannte sie für sich, dass man sich unabhängig von Stereotypen und Leistungsdruck genau in den Bereichen weiterbilden sollte, die einen begeistern. So kam es, dass sie nach drei Jahren in einem ersten Bachelorstudium nochmal den Studiengang wechselte, einen Studiengang mit hohem Matheanteil. „Ich habe mit Mathe richtig gestruggelt.“, erinnert sich die Promovendin. Dabei habe sie sich lange Zeit eingeredet: „Du bist gut in Sprachen, du musst Mathe nicht können.“ Doch später habe sie erkannt, dass sie mit diesem „Mindset“ schlichtweg nicht weiterkommt, und sie es „einfach probieren muss“. „Es geht dabei um die Frage: Wie setze ich mich mit mir selbst auseinander und was traue ich mir selber zu? Und dann letztlich darum, die Dinge einfach zu machen und auszuprobieren.“

„Zielstrebig, innovativ, diszipliniert.“

So beschreibt sich die 28-jährige selbst in 3 Worten. Würde man ein viertes Wort hinzufügen wäre es wohl: inspirierend. Denn wer sie kennenlernt, wird von ihr und ihrer Lebensgeschichte immer wieder überrascht. Als erste Akademikerin in der Familie hatte sie es auf ihrem Weg nicht immer leicht. „Da hieß es schon „Wow, die hat Abitur!“. Im Studium später hat mir dann auch der Support gefehlt, nicht weil meine Eltern es nicht wollten, sondern weil sie es einfach nicht konnten.“, erklärt die Promovendin. Umso stärker wirkt sie, während sie von ihrem Studienwechsel berichtet. Der erste Bachelor sei für sie einfach nicht das Richtige gewesen. „Doch am Ende war auch das nicht umsonst, ich konnte aus der Zeit so viel mitnehmen.“, erklärt mit einem zufriedenen Lächeln im Gesicht. Mit einem Studienkredit und Nebenjob hat sie sich schließlich auch durch ihren zweiten Bachelor und Master gekämpft. Dabei hatte sie auch Zweifel, ob sie das alles schafft, gibt sie offen zu. Und auch heute habe sie, trotz all ihrer Erfolge, auch mit Angst und Aufregung vor Vorträgen zu kämpfen. Es seien diese Momente, in denen man nicht alles kontrollieren kann, die ihr auch mal schlaflose Nächte bereiten könnten. „Doch die Momente, in denen man sich unwohl fühlt und über seinen Schatten springen muss, sind am Ende meist genau das Richtige!“

Das Gespräch mit Julia ist egal bei welchem Thema ein lockeres, fast schon freundschaftlich. Während sie über ihre vielfältige Arbeit und ihr Engagement spricht, trägt sie stets ein leichtes Lächeln im Gesicht. Doch woher nimmt sie die Kraft und die Gelassenheit, all ihre Aufgaben zu bewältigen? „Da muss man ehrlich sein, wenn man „nebenbei“ noch promoviert, da bleibt unter der Woche keine Zeit für Freizeit.“ Halt gibt ihr dabei ihr Mann, der selbst auch promoviert und daher viel Verständnis für ihren vollen Kalender unter der Woche mitbringe. Doch ihre Freizeit und ihr Privatleben verliert Julia dabei nicht aus dem Blick: „Am Wochenende mache ich wirklich GAR NICHTS!“ Ihre Samstage und Sonntage startet sie mit Kaffee im Bett und verbringt sie mit langen Spaziergängen, mit ihrer kleinen Katze oder kreativ beim Kochen. Außerdem besuche sie jeden Samstag ihre Großeltern. „Das gönne ich mir! Denn genau da zieht man auch Motiviation, immer weiter zu machen.“

Dass sie „immer weiter macht“ steht außer Frage. Anderen gibt sie als Tipp mit auf den Weg: „Man muss sich selbst vertrauen, Erfahrungen sammeln und — einfach machen!“