PROF. DR. ANNA GRÜNEBOHM

Mit Physik die Innovationen von morgen mitgestalten

Porträt von Anna Grünebohm

Prof. Dr. Anna Grünebohm sitzt an ihrem Schreibtisch im Interdisciplinary Centre for Advanced Material Simulations (ICAMS) der Ruhr-Universität in Bochum. Hinter ihr zieren bunte selbstgemachte Bilder ihrer Kinder die Wand. Ihre Gäst:innen begrüßt sie mit einem warmen Lächeln. Wer die Juniorprofessorin kennenlernt bemerkt sofort ihre ruhige und freundliche, aber dennoch bestimmte Ausstrahlung. Sobald sie anfängt von ihrem Spezialgebiet, der Material Science, zu reden, fangen ihre blauen Augen an zu strahlen. Im Gespräch findet die 38-jährige auf jede Frage eine schnelle Antwort – und vor allem eine verständliche, die auch „Nicht-Physiker:innen“ einen guten Eindruck in ihre Forschungswelt, ihrer Leidenschaft, vermittelt.

Prof. Dr. Anna Grünebohm ist seit 2020 Juniorprofessorin am Interdisciplinary Centre for Advanced Material Simulations (ICAMS) an der Ruhr-Universität in Bochum. Ihr Fachgebiet ist die Material Science, genauer ferroelektrische Werkstoffe. Material Science beschäftige sich mit der Zusammensetzung von Materialien, erklärt sie uns. Hier stelle man sich etwa Fragen wie: „Wie muss Stahl zum Beispiel zusammengesetzt sein, damit die Brücke stabil bleibt?“, bricht die Forscherin herunter, um uns ihren Forschungsbereich näherzubringen. Ziel sei es dabei, ein fundamentales Verständnis von Materialien zu gewinnen, um zum Beispiel Zusammensetzungen und Materialien hervorzusagen, die stabiler oder langlebiger sind. Im großen Rahmen der Material Science fokussiert Anna Grünebohm heute speziell ferroelektrische Materialien, Materialien die lokale elektrische Dipole besitzen und dadurch unter anderem in der Lage sind, sich unter bestimmten Bedingungen selbst abzukühlen oder aus Bewegung Strom zu gewinnen.

„Das finde ich unheimlich spannend. Diese Arbeit klärt die Frage, wie alles zusammenhängt, wie alles funktioniert und warum man überhaupt Physik macht. Denn es ist der Punkt, an dem man Physik wirklich mit der Praxis verbinden kann.“

Die junge Professorin reizen dabei vor allem die Ableitungen für die Praxis, die sie aus ihren Forschungen ziehen kann. „Das finde ich unheimlich spannend. Diese Arbeit klärt die Frage, wie alles zusammenhängt, wie alles funktioniert und warum man überhaupt Physik macht. Denn es ist der Punkt, an dem man Physik wirklich mit der Praxis verbinden kann.“, erklärt sie mit strahlenden Augen. „Fundamentales Interesse an sich ist toll. Aber noch besser ist es ja, wenn ich dieses Interesse auch wirklich einsetzen kann und weiß: damit kann ich die Technologien von morgen unterstützen.“

Doch bevor die heute 38-jährige ihre Faszination für die Physik entdeckte, habe sie als kleines Mädchen am liebsten Landwirtin werden wollen, erinnert sie sich grinsend. Aufgewachsen ist sie in einer ländlichen Gegend am Niederrhein. In der Schule bekam sie dann erste Einblicke in die Welt der Wissenschaft. Ihre Neugierde treibt sie an, schon damals mochte sie Herausforderungen. So entschied sie sich in der Oberstufe, Physik als Leistungskurs zu wählen. „Man sollte einfach mal öfter etwas ausprobieren. – Und dann drauf hoffen, dass der oder die Lehrer:in gut ist.“, lacht sie. Zu der Zeit zögerte sie allerdings erst noch, ob Physik auch im Studium wirklich das richtige für sie sei. Daher schnupperte sie zunächst in einige Physikkurse einer Sommeruni – ein Hochschulangebot, welches „Studieren auf Probe“ ermöglicht. Hier wurde ihr schnell klar: Physik solle es werden!

„Man sollte sich ein Studium aussuchen, das einem so richtig Spaß macht. Und auch mal Bereiche anschauen, bei denen man sich unsicher ist, ob sie das Richtige für einen sind. Einfach mal schnuppern und ausprobieren.”

„Man sollte sich ein Studium aussuchen, das einem so richtig Spaß macht. Und auch mal Bereiche anschauen, bei denen man sich unsicher ist, ob sie das Richtige für einen sind. Einfach mal schnuppern und ausprobieren.“, erklärt Anna Grünebohm mit Überzeugung. Während ihres Studiums an der Universität Duisburg-Essen festigte sich ihr Interesse aus der Schulzeit. Allerdings wusste sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht, ob sie später einmal in die Wissenschaft oder in die Industrie gehen wolle. So machte sie zum Beispiel ein Praktikum bei einer Bank. Denn für theoretische Physiker:innen sei ein Beruf bei einer Bank oder einer Versicherung ein gängiger Karriereweg, erklärt sie uns. Durch eine Stelle als wissenschaftliche Hilfskraft bei einem ihrer Professoren sammelte sie zudem Erfahrungen in der Forschung.

Auch mit Schwangerschaften schloss sie bereits nach vier Jahren, 2012, erfolgreich ihre Promotion ab. Auf diese folgte schließlich eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin in einem Teilprojekt des Schwerpunktprogramms „ferroic cooling“, in dem sie 2015 die Projektleitung übernahm. Zu dieser Zeit spielte sie immer noch mit dem Gedanken, in die Industrie zu wechseln. „Es ist schon ungewöhnlich für eine wissenschaftliche Karriere, so lange an einer Hochschule zu bleiben. Aber bei mir hat es einfach perfekt gepasst”, erklärt die Juniorprofessorin. 2019 kam dann schließlich eine Chance, die sie sich nicht entgehen lassen konnte: Im Rahmen des Emmy-Noether-Programms der DFG konnte sie eine Nachwuchsgruppe einwerben. Das Emmy-Noether-Programm richtet sich an herausragend qualifizierte Nachwuchswissenschaftler:innen und ermöglicht es ihnen, sich durch die Leitung einer Gruppe über einen Zeitraum von sechs Jahren für eine Hochschulprofessur zu qualifizieren.

Mit ihrer Entscheidung ist die Juniorprofessorin bis heute rundum zufrieden. In ihrer Rolle als Gruppenleiterin der Nachwuchsgruppe „Scale-bridging computational design of multifunctional ferroelectric composites“ kann sie ihre Forschung selber ausbauen und durch ihre Lehre in dem interdisziplinären Studiengang Materialwissenschaft den Physiker:innen und Ingenieur:innen von morgen näherbringen.

In dieser Zeit lernte sie zudem ihren jetzigen Ehemann und Vater ihrer zwei Kinder kennen. Beide strebten zeitgleich ihre Doktortitel an. Während sie nach ihrer Diplomarbeit, ab 2008, als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bereich „Nanopartikel aus der Gasphase“ forschte, begann sie zeitgleich ihre Promotion zu dem Thema. Doch auch im Privaten änderte sich das Leben der Physikerin während ihrer Promotionszeit: Zu Beginn der Promotion wurde ihre Tochter geboren, wenig später ihr Sohn. Eine Entscheidung, die die Juniorprofessorin immer wieder treffen würde: „In der theoretischen Forschung hat man Freiheiten, die man in vielen Berufen eben nicht hat. Man kann sich hier zum Beispiel freier Zeiten einteilen. Ein wichtiger Faktor, um neben meiner Arbeit ausreichend Zeit für meine Kinder nehmen zu können.“

„Sich einfach mal etwas trauen und ausprobieren!“

Anderen jungen Frauen rät sie auf ihrem Weg in die Wissenschaft: “Sich einfach mal etwas trauen und ausprobieren!”